Antriebskonzepte E-Bike
Der Mittelmotor liegt beim E-Bike im Trend und avanciert zum Standard. Doch auch Vorderrad- und Hinterradmotoren haben ihre Berechtigung. Ein Überblick über die unterschiedlichen Konzepte mit ihren Vor- und Nachteilen und praktischen Beispielen.
Von Peter Barzel
Das Angebot an E-Bikes ist riesig und kaum überschaubar: Welches ist das richtige Bike für mich? Da geht es zuerst um den richtigen E-Bike-Typ mit der passenden Sitzposition, eher sportlich oder komfortabel aufrecht. Die zweite Frage gilt dem Antriebskonzept: Welches ist besser, welches zu empfehlen? Es gibt grundsätzlich drei verschiedene Antriebskonzepte mit unterschied-lichen Vor- und Nachteilen: Vorderrad-, Mittel- und Hinterradmotor.Vorderradmotor
Der Vorderradmotor ist die einfachste Möglichkeit, aus einem Fahrrad ein E-Bike zu machen, weil man quasi nur das Vorderrad austauschen muss. Der Motor sitzt in der Vorderradnabe. Um die Baugröße zu reduzieren, hat er in der Regel ein Getriebe, das im Betrieb zu hören ist. Getriebelose Motoren, sogenannte Direktläufer, laufen beinahe geräuschlos, sind aber größer und schwerer. Auf jeden Fall muss die Vorderradgabel verstärkt sein, um das Antriebsmoment des Motors aufnehmen zu können. Zu den Vorteilen des Vorderradmotors zählt auch, dass er mit jeder Art Gangschaltung kompatibel ist.
Nachteilig ist, dass die Motorsteuerung in der Regel sehr einfach ist, weil es keinen Kraftsensor gibt, der die Pedalkraft misst und danach die Motorkraft dosiert. Weil auf dem Vorderrad immer, besonderes aber bei aufrechter Sitzposition, weniger Gewicht lastet, kann das Vorderrad auf rutschigem Untergrund leichter durchrutschen. Wichtig ist deshalb ein besonders sanftes Einsetzen der Motorunterstützung. Vorderradmotoren sind keine schlechten Antriebe, aber die anderen sind insgesamt besser. Ein Vorderradantrieb wird meist bei preis-werten E-Bikes und bei Spezialrädern eingebaut, wo andere Motoren konstruktiv schlecht möglich sind, z.B. bei Lastendreirädern.
Mittelmotor
Der Mittelmotor sitzt in der Mitte des Fahrradrahmens. Die Tretlagerwelle mit den Pedalkurbeln ist in das Motorgehäuse integriert. Der Fahrradrahmen braucht eine spezielle Aufnahme für den Motor, die je nach Motorhersteller unterschiedlich ist. Trotz des höheren Aufwandes beim Rahmen ist der Mittelmotor inzwischen Standard, weil seine Vorteile in der Summe überwiegen. Er liegt günstig im Schwerpunkt des E-Bikes. Der Motor kann klein sein und dank Getriebe in seinem günstigsten Drehzahlbereich laufen. Er kann mit allen Schaltungsarten kombiniert werden. Und die Sensoren wie der Kraftsensor können einfach integriert werden. Der Vorteil, dass auch die Motorkraft dank Gangschaltung verstärkt wird, ist zugleich auch der größte Nachteil: Weil Muskel- und Motorkraft zusammen übertragen werden, sind Belastung und Verschleiß von Kette und Ritzeln deutlich höher. Bei Mittelmotoren gibt es aktuell die größte Auswahl an Herstellern und Modellen. Er wird bei allen E-Bike-Typen eingesetzt.
Hinterradmotor
Der Hinterradmotor sitzt in der Hinterradnabe und ist ähnlich einfach einzubauen wie der Vorderradmotor. Der Fahrradrahmen muss in der Form nicht verändert, aber verstärkt werden. Der Hinterradmotor kann nur mit Kettenschaltungen oder Tretlagerschaltungen (Pinion, Schlumpf) kombiniert werden. Eine normale Rücktrittbremse ist nicht möglich, vereinzelt wird eine Sonderform angeboten.
Im Hinterrad stören die größere Bauform und das größere Gewicht eines getriebelosen Motors (Direktläufer) weniger. Deshalb kommen hier seine Vorteile zum Tragen: nahezu lautloser Betrieb und hohe Effizienz, weil sich kein Getriebe mit dreht. Der direkte Antrieb des Hinterrades ist zwar kraftvoll zu spüren, doch bei niedrigen Motordrehzahlen wie beim langsamen Bergauffahren braucht der Motor mehr Strom und wird warm. Wird er zu warm, reduziert die elektronische Steuerung zum Schutz die Motorleistung. Die Energierückgewinnung (Rekuperation) ist beim Direktläufer einfacher möglich, doch deren Potenzial ist wegen der geringen Fahrzeugmasse sehr begrenzt. Der Hinterradmotor kommt vor allem bei sportlichen Rädern, Spezialrädern oder E-Bikes zum Einsatz, die optisch ein Fahrrad bleiben sollen.
Drehmoment (Nm)
Neuerdings werben die Hersteller der Elektroantriebe mit der Angabe des Drehmoments in Newtonmeter (Nm), um deren Unterstützungskraft zu betonen. Die angegebenen Werte sind aber nicht eindeutig miteinander zu vergleichen, da nicht definiert ist, bei welchen Drehzahlen und an welcher Stelle das angegebene Drehmoment wirkt, beispielsweise an der Abtriebswelle des Motors, am Kettenblatt vorne oder am Hinterrad. Doch die Unterstützungskraft aller aktuellen Markenantriebe ist völlig ausreichend. Viel wichtiger sind die Qualität der Motorsteuerung und gut gewählte Unterstützungsstufen.
Nachrüsten ?
• Es gibt für alle drei Antriebskonzepte Nachrüstsätze.
• Unbedingt beim Hersteller klären, ob die Stabilität des Fahrradrahmens ausreicht.
• Wer nachrüstet, Fahrradhändler oder privat, wird zum Hersteller und übernimmt die Produkthaftung für das ganze E-Bike.
• Nachrüsten ist meist teurer als ein E-Bike fertig zu kaufen.
Vorderradmotor
alle Schaltungen
Schlechtere Traktion auf rutschigem Untergrund
Rücktrittbremse möglich
Fahrradrahmen normal
Mit Getriebe
Höhere Belastung der Vorderradgabel
Rekuperation (möglich)
Antriebsgeräusch oft laut
Vorderradfederung eingeschränkt
Radein- und ausbau etwas aufwändiger
Mittelmotor
alle Schaltungen
Beste Lastverteilung –
gute Schwerpunktlage
(Keine) Rücktrittbremse
Fahrradrahmen speziell
Mit Getriebe
Höhere Belastung von Kette und Schaltung
Keine Rekuperation
Antriebsgeräusch hörbar, aber leiser
Federung uneingeschränkt möglich
Radein- und ausbau wie beim Fahrrad
Hersteller im Überblick
Bosch
Bosch ist in nur drei Jahren zum Markführer geworden. Etwa 40 Prozent der E-Bikes in Deutschland haben einen Bosch-Antrieb. Den Weltmarkt im Blick hatte Bosch 2009 dazu extra einen eigenen Unternehmensbereich gegründet. Die Classic-Linie der ersten Generation ist inzwischen durch die Active Linie und die sportlichere Performance Linie der zweiten Generation abgelöst. Neu hinzugekommen ist jetzt noch die Performance CX-Linie für Mountainbikes, die direkter und bei langsamer Fahrt kräftiger unterstützt.
Modelle: Active / Performance / CX / Classic
Varianten: Pedelec / S-Pedelec
Unterstützungsstufen: 4
Schaltungen: Nabe / Kette
Kettenblatt: einfach
Riemenantrieb: ja
Drehmoment: 75 Nm
Gewicht Motor: < 4 kg
Brose
Mit Brose ist nach Bosch der zweite Autozulieferer von Weltrang in das E-Bike-Geschäft eingestiegen. Der Brose-Motor ist sehr kompakt und leise. Im Innern arbeitet wie bei Bosch ein Lenkungsmotor aus dem Automobilbereich. Die zweite Stufe des integrierten Getriebes ist als Zahnriemengetriebe ausgeführt. Brose bietet seinen Antrieb als Baukasten an und passt die Motorsteuerung jeweils den Wünschen der Hersteller an. Der Akku kommt von namhaften Akkuherstellern. Neu ist die S-Pedelec-Variante.
Modelle: E-Bike
Varianten: Pedelec / S-Pedelec
Unterstützungsstufen: 4
Schaltungen: Nabe / Kette
Kettenblatt: einfach/zweifach
Riemenantrieb: ja
Drehmoment: 90 Nm
Gewicht Motor: 3,4 kg
Impulse
Derby Cycle ist als umsatzstärkster Fahrradhersteller mit den Marken Focus, Kalkhoff, Raleigh, Rixe und Univega zugleich auch der größte E-Bike-Hersteller in Deutschland. Im Gegensatz zu den anderen Herstellern kauft Derby Cycle den Antrieb nicht zu, sondern hat einen eigenen Mittelmotor entwickelt. Auf die schon gute zweite Generation Impulse 2.0 folgt nun der nochmal verbesserte Impulse Evo, der kräftiger, leiser, robuster und harmonischer ist.
Modelle: 2.0 / Ergo / Evo / Evo RS
Varianten: Pedelec / S-Pedelec
Unterstützungsstufen: 3 / 4
Schaltungen: Nabe / Kette
Kettenblatt: einfach
Riemenantrieb: ja
Drehmoment: 80 Nm
Gewicht Motor: 3,8 kg
www.kalkhoff-bikes.com/de/impulse-antrieb
Panasonic
Panasonic gehört zu den Pionieren bei E-Bike-Antrieben und war bis zum Markteintritt von Bosch Marktführer bei Mittelmotoren. Der in Kooperation mit Flyer stetig weiterentwickelte Antrieb hat in 20 Jahren seine Qualität und Robustheit bewiesen und ist technisch auf der Höhe der Zeit. Mit dem neuen 2-Gang-Motor geht Panasonic wieder voran. Ein zusätzlich integriertes Getriebe ersetzt das Doppelkettenblatt einer Kettenschaltung und vergrößert den Übersetzungsbereich.
Modelle: 1-Gang-Motor / 2-Gang-Motor
Varianten: Pedelec / S-Pedelec
Unterstützungsstufen: 3
Schaltungen: Nabe / Kette
Kettenblatt: einfach
Riemenantrieb: ja
Drehmoment: 75 Nm / 66 Nm
Gewicht Motor: 4 / 4,8 kg
www.eu.industrial.panasonic.com/products/e-bike-systems
Shimano
Der Weltmarktführer bei Fahrradkomponenten ist erst seit kurzem mit einem eigenen Antrieb im Markt. Dieser funktioniert in der von Shimano gewohnten Qualität und Zuverlässigkeit. Seine Besonderheit ist die integrierte Kombination mit Shimanos elektrisch betätigten Di2 Naben- und Kettenschaltungen. Beim Stopp schaltet das System zum Anfahren automatisch in einen kleinen Gang zurück. Während der Fahrt wird beim Schaltvorgang die Motorkraft kurz reduziert, um die Schaltung zu schützen.
Modelle: Steps
Varianten: Pedelec
Unterstützungsstufen: 3
Schaltungen: Nabe/Kette
Kettenblatt: einfach
Riemenantrieb: ja
Drehmoment: 50 Nm
Gewicht Motor: 3,2 kg
Yamaha
Yamaha stellte 1993 das erste Serien-Pedelec vor und hat im Grunde mit seinem Power Assist System (PAS) das Pedelec-Prinzip erfunden. Nach längerer Abstinenz vom europäischen Markt ist Yamaha mit seiner Next Generation wieder da. Der Antrieb überzeugt mit seinem direkten Ansprechen und der kräftigen Unterstützung bei niedrigen Drehzahlen. Neu sind 2016 die vierte Unterstützungsstufe, 11 dB weniger Geräusch und eine S-Pedelec-Variante.
Modelle: My2016 Drive Unit
Varianten: Pedelec / S-Pedelec
Unterstützungsstufen: 4
Schaltungen: Nabe / Kette
Kettenblatt: zweifach
Riemenantrieb: ja
Drehmoment: 80 Nm
Gewicht Motor: 3,5 kg
Bionx
Der kanadische Hersteller gehört zum Automobilzulieferer Magna International und war einige Jahre führender Anbieter von Hinterradantrieben, wurde dann aber vom rasant wachsenden Markt quasi überrollt. Inzwischen sind die Antriebe zuverlässiger geworden. Besonders der neue D-Series Antrieb, bei dem Nabengehäuse und Speichenflansche entkoppelt sind, macht einen sehr viel versprechenden Eindruck. Alle Bionx-Antriebe sind auch als Nachrüstsatz erhältlich.
Modelle: P 250 / P500 / D-Series
Varianten: Pedelec / S-Pedelec
Unterstützungsstufen: 4
Rekuperationsstufen: 4
Schaltungen: Kette / Tretlager
Drehmoment: 50 Nm
Gewicht Motor: ca. 4,5–5,5 kg
Go Swissdrive
Go Swissdrive ist eine Schweizer Tochter der deutschen Ortlinghausgruppe. Die Fertigung der E-Bike-Antriebe basiert auf den Erfahrungen aus der Produktion von Radnabenmotoren für Rollstühle. Go Swissdrive ist aktuell der führende Hersteller von Hinterradmotoren im deutschen Markt, bietet individuelle Lösungen an und wird gerne bei hochwertigen E-Bikes zusammen mit der Tretlagerschaltung von Pinion kombiniert. Er überzeugt durch Qualität, einen niedrigen Leerlaufwiderstand und eine energieeffiziente Stromfluss-Steuerung zum Schutz vor Überlast.
Modelle: Cruise / Standard / Mountain / Power
Varianten: Pedelec / S-Pedelec
Unterstützungsstufen: 5
Rekuperationsstufen: 2–3
Schaltungen: Kette / Tretlager
Drehmoment: 37–45 Nm
Gewicht Motor: ca. 4,7–5,6 kg
Neodrives
Neodrives ist die Eigenmarke des schwäbischen Herstellers Alber, Weltmarktführer bei leichten Rollstuhlantrieben. Den getriebelosen Direktläufer gibt es in Deutschland nur als Pedelecvariante. E-Bike-Hersteller können den Antrieb nach ihren Vorstellungen konfigurieren und labeln. Hinter Green Mover von Bulls steckt genauso ein Neodrives von Alber wie in den Xion-Antrieben von Kalkhoff und Raleigh.
Modelle: Z15
Varianten: Pedelec
Unterstützungsstufen: 3
Rekuperationsstufen: 2
Schaltungen: Kette / Tretlager
Drehmoment: 40 Nm
Gewicht Motor: ca. 4,36 kg