Wackelkontakt nach Kurzschlusshandlung?
Heulen und Zähneknirschen zwischen Nordsee und Alpenrand: Die Zulassungszahlen rein elektrisch angetriebener Pkw in Deutschland bleiben dürftig, der Ausbau der Lade-Infrastruktur schleppt sich dahin und die 4000-Euro-Prämie entpuppt sich in vielen Fällen als Ente. Was ist nur los in der elektrischen Bananenrepublik?
Von Friedhelm Kortmann
Knapp 11.000 Anträge auf E-Pkw-Prämie trudelten vom 2. Juli 2016 bis Ende Januar dieses Jahres beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ein, gut 6000 davon für Autos mit Elektromotor pur. Über die Hälfte aller Anträge reichten Unternehmen ein, Privatpersonen waren 5105 Mal vertreten. Es ist nun immer mehr illusorisch zu glauben, das Ziel von Bundeskanzlerin Angela Merkel von einer Million zugelassener Elektroautos bis zum Jahr 2020 in Deutschland noch zu erreichen. Offenbar sind die Vorurteile – aber auch offensichtliche Nachteile – der leisen Mobilität in Deutschland tief verwurzelt.
Modellangebot, Ladeinfrastruktur, Reichweite, Preis – die Hürden für einen komplett elektrifizierten Volkswagen liegen in Deutschland in schwindelerregender Höhe. Auch Herz und Bauch spielen eine Rolle, wenn man Daimler-Chef Dieter Zetsche folgt. Wie die Auto Zeitung online berichtet, werde sich laut Zetsche der Erfolg der Elektromobilität erst dann einstellen, „wenn man die Kunden mit E-Autos überzeugen und faszinieren“ könne. Ob der oberste Mercedes-Lenker die hauseigene vollelektrische B-Klasse als emotional-elektrischen Wunschtraum sieht, ließ er offen. Recht hat er allemal, denn die Anschaffung eines Autos folgt nicht in allen Punkten den Gesetzen der reinen Vernunft – und wenn, rückt gerade die pragmatische Sichtweise Aspekte wie Reichweite und Nachladen ins Blickfeld: So lange der Stadtmensch nicht an der Laterne nachladen kann, bleibt sein Akku über Nacht leer.
Da hilft auch keine zehnjährige Steuerbefreiung für Fahrzeuge, die ab dem 17. November 2016 zugelassen wurden, und auch das steuerlose Aufladen des Akkus beim Arbeitgeber – inklusive Pedelec – sorgt nicht für dynamische Absatz-Beschleunigung. Das sind keine guten Perspektiven für das Mutterland des selbst fahrenden Personenwagens, trotz 1,2 Milliarden Prämientopf, der für rund 300.000 Fahrzeuge reichen würde. Allerdings kommt Ende Juni 2019 der Deckel auf den Topf, danach gibt’s keinen einzigen Cent mehr aus der Staatssparkasse.
Da sind andere Nationen schon eher mobil elektrisiert. In China huschten im letzten Jahr laut Focus online 370.000 Elektroautos inklusive Hybrid-Varianten neu auf die Straßen, nahezu eine Verdopplung der Zahlen von 2015, Marktanteil 1,7 Prozent. Im selben Zeitraum wuchs der E-Bestand in den USA um 33 Prozent. Hier ist vor allem Tesla mit den Modellen S und X der Trendmotor vor Nissan Leaf und BMW i3, Marktanteil der E-Pkw knapp ein Prozent. Ob der Aufwärtstrend im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auch nach dem Präsidentenwechsel anhält, ist allerdings ungewiss. Für Donald Trump ist der von Menschen hervorgerufene Klimawandel eine Nullnummer, was die Förderung von Umwelttechnologien empfindlich einschränken könnte. Klare Linie dagegen im nördlichen Teil Europas: Die Norweger setzen sich auf leisen Sohlen an die Spitze der europäischen Elektromobilität. Bis Ende November wuchs die Zahl der Elektroautos um fast 40 Prozent auf 41.000 zwischen Kristiansand und Nordkap. Wohl aus diesem Grund liefert Opel den neuen Ampera-e zuerst in Norwegen aus.
Aber sind denn alle Elektroautos hässlich und surrende Emotionsblocker? Wir haben dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in die Karten geschaut und die Liste der Fahrzeuge ausgegraben, für die in Deutschland eine Prämie beantragt werden kann; 4000 Euro für Vollelektrische, 3000 Euro für Plugin-Hybride und Brennstoffzellenfahrzeuge. Insgesamt 104 Modelle waren am 13. Februar amtlich gelistet, 22 davon reine E-Autos mit insgesamt 78 Modellvarianten. Special-E stellt die interessantesten Vollelektrischen vor.
BMW i3 33 kWh
Durch und durch elektrisch. Schmale Räder, Leichtbau, die meisten Komponenten „natürlich“ recyclebar. Mit 1195 Kilogramm rund 400 kg leichter als der kleine Nissan Leaf oder der kräftige e-Golf. Den i3 gibt’s optional mit einem Vertrag mit Naturstrom. Auch mit 22 kWh ab 34.950 Euro zu haben.
Citroen Berlingo Electric
Citroen C-Zero
Ford Focus Electric
Kia Soul EV
Kantig, eckig. Groß und beinahe doppelt so teuer wie die Benzin-Version. Akku-Ladung an einer Schnellladesäule laut Chademo-Standard in 30 Minuten 80 Prozent, an der Heimsteckdose bis zu 14 Stunden.
Hyundai IONIQ electric
Taufrischer Korea-Renner von November 2016. V-Max 165 km/h, Reichweite 280 Kilometer. Ist schneller und kommt weiter als der Ford Focus Electric oder Citroen C-Zero. Gepäck-Schluckspecht mit 443-Liter-Kofferraum.
Mercedes Generation EQ
Nicht nur ein neues Elektroauto, sondern Nährboden für eine komplett neue elektrische Modellpalette mit Reichweiten um die 500 Kilometer. Beim Autosalon Paris ließ Mercedes wissen: „Noch in dieser Dekade startet das erste EQ Serienmodell im SUV-Segment“. Noch in dieser Dekade heißt nicht nur für Lateiner: Bis spätestens 2019. Da sind wir gespannt. Und danach, danach folgt die Modelloffensive; bravo.
Mercedes B-Electric Drive
Nissan e-NV200
Nissan Leaf 24 kWh 2016
Bestseller und junger Klassiker: Mehr als 100.000 Mal weltweit verkauft. Chademo-Stecker für bidirektionales Laden, damit als Pufferspeicher für erneuerbare Energien geeignet. Auch mit 30 kWh und 250 Kilometer Reichweite ab 28.485 / 34.385 Euro
Opel Ampera-e
Peugeot iON
Porsche Mission E
Beinahe schon ein alter Hut: Ihre Premiere erlebte die Konzeptstudie eines elektrischen Panamera auf der Frankfurter Automobilausstellung IAA im September 2015. Vier Türen, vier Einzelsitze, vier Räder. 600 PS und 500 Kilometer Reichweite: ein echter Tesla-Jäger – wenn er denn kommt. Wenn ja, dann vielleicht schon 2018. Bis dahin ist gar nicht mehr so oft schlafen.
Renault Twizy
Renault ZOE 41 kWh
Stark: flexibles Wechselstrom-Ladesystem. Zu Hause an einer Wallbox (Foto) in gut einer Stunde voll. Aber: Die Batterie ist nicht käuflich, nur zu mieten.
smart forfour electric drive & smart fortwo electric drive
Tesla Model 3
Genug Platz für fünf Personen mit Gepäck. Ab 2017 erhältlicher Mittelklassewagen mit verschiedenen teilautonomen Fahrfunktionen. Angepeilte Stückzahl bisher unbekannt. Serienproduktion für Juli 2017 angekündigt, Prototypen ab Februar. Schon vor der Präsentation waren rund 100.000 Bestellungen eingegangen, insgesamt sollen es über 400.000 sein.
Tesla Motors Model S 60
Tesla Motors Model S 75
VW e-Golf
Wer den Diesel-Tricksern die Treue halten will, ist mit diesem E-Golf gut bedient. Unter einer konventionellen Karosserie steckt ein konsequent durchdachtes Elektrofahrzeug. Hier wurde nicht einfach der Verbrennungs- durch einen Elektromotor ersetzt, sondern die gesamte innere Fahrzeugkonstruktion ist für den Elektrobetrieb entwickelt worden.
VW e-up!
Stärker – und viel teurer – als der Benziner, nur etwas günstiger als der e-Golf. Schade, denn als Cityflitzer hätte der e-up! wirklich gute Karten.
VW I.D.
Auf dem Teppich bleiben: Abheben im Autosalon
Kaufen, einsteigen, losfahren: Wir haben gezeigt, dass es auch heute schon möglich ist, auf vielfältige Art vollelektrisch mit dem Auto unterwegs zu sein. Und wenn die Autoindustrie feststellt, dass attraktive Modelle fehlen, um die E-Mobilität populär zu machen, dann sei die Frage gestattet: Warum bauen sie dann keine? Statt sich ewig mit glitzernden Visionen auf allen Autosalons dieser Welt in die Brust zu werfen, sollten sie schnell auf den Teppich zurückkehren – aber nicht auf den roten. „Es geht doch“, will man ihnen zurufen, wenn man ihre „Konzept-Studien“ ernst nimmt – was wir hiermit einmal tun.
Schon ab 2020 will Volkswagen, Automobil-Weltmarktführer, „eine ganze Familie elektrischer Fahrzeuge auf den Markt bringen“, so die Vision Wolfsburg (VW) auf dem Pariser Autosalon im letzten Herbst. Ein erster Baustein ist die retromoderne Elektro-Bulli-Studie Volkswagen I.D. mit „Modularen Elektrifizierungsbaukasten“ (MEB) als Basis für alle elektrischen E-Autos aus Wolfsburg.