Elektro-Autos nur eine Randgruppe?
Das Autoland Deutschland stinkt weiter zum Himmel: Die großen Autohersteller von Audi über BMW bis Mercedes und Volkswagen haben zwar elektrische Visionen in der Schublade, im Labor und hier und da im Schaufenster, aber die weitaus größte Zahl der Individual-Mobilisten zwischen Ostsee und Alpen qualmt weiter – trotz hoch gesteckter Klimaziele, weiter anschwellender Treibhausgase und ausgewachsener Diesel-Skandale.
Von Friedhelm Kortmann
Damit soll bald Schluss sein, spätestens die übernächste Autofahrer-Generation könnte dann auf leisen, sauberen Sohlen in die Zukunft gleiten. So jedenfalls will es das Umweltbundesamt, um die Treibhausgase auf ein Minimum zu reduzieren. Sämtliche fossilen Brennstoffe sollen dann Geschichte sein, ab 2050 dreht sich die mobile Welt komplett elektrisch. Und nicht nur das: Der gesamte Strombedarf soll in 35 Jahren aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden.
Reale Vision: Es geht ohne Öl und Kohle
Das ist weder Science Fiction noch ökologisches Säbelrasseln, sondern das Ergebnis intensiver Forschung, zusammengefasst im Oktober letzten Jahres unter anderem im Arbeitspaket 1.1 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. „Klimaschutz in Deutschland 2050“ ist ein Gemeinschaftswerk des Öko-Instituts e.V., des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung und des Instituts für Ressourceneffizienz und Energiestrategien.
Es geht also, könnte man meinen, und trotzdem scheint es bisher so zu sein, dass nicht viel geht, wenn es sich um elektrisches Fahren handelt. Die angestrebte Eine-Million-Marke neu zugelassener E-Autos bis 2020 in Deutschland erscheint mehr und mehr als abstrakte Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Fehlern in der Kommastelle, die deutschen Autobauer waren bis zur Jahreswende im fossilen Brennwertschlaf, sieht man von einigen elektrisierenden Vorzeige-Projekten ab.
Deutsche Autobauer starten Elektro-Offensive
Das scheint sich augenblicklich blitzartig zu ändern, die Schlagzeilen der Tages- und Fachpresse sind voll von Elektroprojekten der deutschen Automobilindustrie. In der E-Vorreiterrolle sieht sich neuerdings Dieselsünder Volkswagen, dessen Vorstandschef Matthias Müller anlässlich der Hauptversammlung der VW-Aktionäre im Juni in Hannover einen zweistelligen Milliardenbetrag für die Entwicklung von E-Mobilen in den nächsten neun Jahren ankündigte.
Dann wäre VW nicht nur das leidige Dieselthema los, sondern könnte sich auch im Wettbewerb mit Google, Apple und anderen Mobilitäts-Dienstleistern neu aufstellen. Müller glaubt, dass schon in zehn Jahren jeder vierte Pkw weltweit elektrisch angetrieben werden könnte, im eigenen Konzern sieht der VW-Chef bis 2025 einen E-Anteil „von rund 20 bis 25 Prozent“. Über 30 vollelektrische Fahrzeuge will VW bis 2025 auf den Markt bringen und zwei bis drei Millionen pro Jahr verkaufen. Auch die Brennstoffzelle will der Visionär nicht aus den Augen verlieren: „Und wir werden bereit sein, wenn die Zeit dafür reif ist.“ An Worten mangelt es also nicht in Wolfsburg, an Antworten schon eher.
Volkswagen: Nur zweimal komplett elektrisch, bald sollen es 30 sein
Bis der Volkswagenkonzern seine hochgesteckten Ziele auch nur annähernd erreicht, müssen die Wolfsburger noch fleißig schrauben, denn bisher gibt es lediglich den e-up! zum Basispreis von 26.900 Euro und den e-Golf (34.900 nackt) als reine Stromfahrzeuge. Golf GTE und GTI sowie Passat GTE und GTE Variant sind Plug-in-Hybride und auf die neuerdings verhassten fossilen Brennstoffe angewiesen.
Da ist es noch ein weiter Weg bis zu der von Matthias Müller in Hannover selbstbewusst formulierten „Elektrifizierungsoffensive, die in unserer Branche ihresgleichen sucht“.
Audi: Kurzschluss im Elektro-Modus: A3 e-tron fährt mit Benzin – aber es gibt ihn gar nicht
In Ingolstadt ist die Zukunft bisher fossil: Der angekündigte A3 mit Elektroantrieb wird ein Plug-In-Hybrid, der aktuell noch keine Gesamtbetriebserlaubnis besitzt. Lapidar heißt es dazu bei Audi: „Das Fahrzeug wird noch nicht zum Kauf angeboten“ (Stand Juni 2016).
Da ist nichts zu spüren vom frischen Konzernwind und einer „Elektrifizierungsoffensive“. Immerhin: Mit dem Q7 e-tron quattro haben die Bayern einen Plug-In-Hybriden im Programm, der als einziger Mischantrieb weltweit von einem Dieselmotor befeuert wird – aber wer will heute noch einen Diesel? Und ausgerechnet einen aus dem Volkswagenkonzern?
BMW: i3 für echte Alltagsfahrer, i8 schluckt Sprit
Von Zeit zu Zeit lässt er sich schon mal in der Stadt blicken, der i3 von BMW. Trotz seines hohen Einstiegspreises von 34.950 Euro ist der Vollelektrische fast schon ein gefühltes Volumenmodell. Die neueste Generation kommt mit stärkerem Akku (33 statt 22 Kilowattstunden) daher. Das bedeutet theoretisch eine auf 300 Kilometer erhöhte Laufleistung auf dem Prüfstand, bisher waren dies 190 Kilometer. Im wirklichen Leben dürfte es für 200 Kilometer reichen; Aufpreis 1200 Euro. Mit dem neuen Akku bekommt der i3 auch frische Farben – die Verkaufszahlen liegen bisher weit hinter den Erwartungen, vielleicht hilft da ein neuer Anstrich weiter. Bis 2025 will BMW die Elektroszene richtig aufmischen, Tesla abhängen und zum „Innovationsführer“ mit einer „Art Leuchtturmfunktion“ in Sachen Elektromobilität werden, berichtet das Manager-Magazin in Ausgabe 7/2016 – markig-markante Li ppenbekenntnisse, die zurzeit wenig mit der Realität zu tun haben. Nicht richtig im Leben steht auch der i8 mit seinem Hybridmotor, der mit Elektromobilität nur das „E“ gemeinsam hat.
Mercedes: Das E in der B-Klasse – dicke Dinger in Paris
Electric Drive nennen die Schwaben ihren B-Klasse-Mercedes mit Elektromotor. Der 180-PS-Strombolide mit der Typbezeichnung B 250 e kostet in der Basisversion 39.151 Euro und ist im Augenblick der einzige Elektrolurch im Programm. Das soll sich aber nach dem Willen von Daimler-Chef Dieter Zetschke schon bald ändern, und Ende September lassen die Stuttgarter ihre neue E-Katze auf dem Pariser Autosalon aus dem Sack – zunächst allerdings nur als Studie.
Mit 500 Kilometern Reichweite soll der Neue dem Platzhirschen Tesla die Butter vom Brot schnappen. Danach werde es Schlag auf Schlag gehen, versichert Zetschke im Manager Magazin vom 22. Juni. Eine „wachsende sechsstellige Zahl“ peile man über die gesamte Produktpalette an, auch im Segment der Geländewagen sei Großes zu erwarten. Um den Kunden die Angst vor Elektroautos zu nehmen, verrät Entwicklungsvorstand Thomas Weber die neue Konzerstrategie: Sukzessive sollen alle Verbrenner als Hybridfahrzeuge auf die Straßen geschickt werden. Das spare nicht nur fossile Energien, sondern erhöhe auch die Akzeptanz elektrischer Antriebstechnik.
Smart: electric drive ausverkauft, vierte Generation erst zum Jahresende
Die letzten 2016-er Modelle stehen im Schaufenster und neue gibt’s erst zur Jahreswende. Der e-Smart gehört sicher zu den bekanntesten Vertretern seiner Zunft, denn als Teil des Carsharing-Konzepts „Car2Go“ gehört er gewissermaßen zum Großstadtbild in Deutschland. Der Minimalist kostet in der Basisversion knapp 19.000 Euro mit Batterie-leasing, bei Batteriekauf rund 24.000 Euro.
Gemischtes Doppel: Opel und Ford im Boot
Auch Opel und Ford geben mächtig elektrische Spannung auf ihre Modellpalette, und weil sie wichtige Standorte und Entwicklungsabteilungen in Deutschland haben, dürfen Sie in diesem Kapitel mitspielen.
Opel: Mit einem Ampera-e nach Paris
Opel erlebt einen Höhenflug in Deutschland. Der neue Astra schlägt gut ein, Karl der Opel scheffelt Testsiege – eitel Sonnenschein mitten im Sommer. Jetzt folgt die nächste Offenbarung der Opelaner von General Motors: Der Ampera-e gibt sich im Herbst beim Pariser Autosalon die Ehre. Er basiert auf dem Chevrolet Bolt, der es auf eine Reichweite von 320 Kilometer bringt und etwa 33.000 US-Dollar kostet. Übertragen auf Deutschland sind das rund 29.000 Euro und eine volle Breitseite gegen Tesla Model 3, BMW i3, e-Golf und Konsorten. Der Ampera-e ist ein echter Fünfsitzer und damit ein aussichtsreicher Kandidat auf einen Spitzenplatz in der Kompaktklasse.
Ford: Elektro-Focus im Fokus
Mit 13 neuen Elektro- und Hybridfahrzeugen will Ford innerhalb der nächsten vier Jahre den Markt aufmischen. Dazu nehmen die US-Autobauer gut vier Milliarden Euro in die Hand, in erster Linie, um den Absatzknick auf dem Binnenmarkt gerade zu ziehen. In Europa steht unter anderem der Focus Electric aus Saarlouis in den Startlöchern, der zum Basispreis von 34.900 Euro zu haben sein wird. Kein ausgesprochenes Schnäppchen, aber eine interessante Alternative im dünn besiedelten Elektromarkt. Außerdem steckt der Ford-Flitzer voller technischer Raffinessen – vom hocheffizienten Traktionsmotor mit dreifachem Wirkungsgrad im Vergleich zum Benziner bis zur beleuchteten Ladebuchse.
Fazit: Gut gebrüllt, Löwe?
Die Automobilindustrie in Deutschland gibt sich in Sachen Elektro-Mobilität selbstbewusst und kämpferisch. Da könnte man schnell glauben, nach dem Rad werde nun auch noch der Akku neu erfunden. Aber so viel Erfindungsgeist gehört gar nicht dazu, wenn es darum geht, zeitgemäße alternative Mobilität auf die Räder zu stellen. Die Japaner schaffen das seit Jahrzehnten, die Koreaner seit vielen Jahren, und auch die Franzosen sind in diesem Punkt ihren deutschen Nachbarn um einige Dekaden voraus.
Nun schadet Selbstbewusstsein ja bekanntlich nicht, und wenn es dem guten Zweck dient, ist jedes Säbelrasseln willkommen. Entscheidend bleibt, was zuletzt dabei herauskommt. Wenn es bis 2025 schließlich so aus dem Wald schallt, wie heute hineingerufen wird, können wir uns auf eine alternative Elektro-Mobilität freuen, die ihrem Namen alle Ehre macht.
Und noch eines gilt es zu bedenken: Wenn in zehn Jahren tatsächlich bis zu 25 Prozent aller Autos elektrisch unterwegs sind, brauchen sie die passende Infrastruktur. Da sind noch viele Anstrengungen erforderlich, um ein ganzheitliches Konzept umzusetzen. Dazu gehören nicht nur flächendeckende Ladestationen, sondern auch ein schlüssiges Konzept für regenerative elektrische Energie – von der Produktion über den Transport bis zur Speicherung.