Opel Ampera-e: Anfassen statt Anlassen
Großer Bahnhof für einen kleinen Flitzer: Anfang November präsentierte das Opel-Team am Westhafen Pier 1 in Frankfurt/M stolz den jüngsten Spross des Rüsselsheimer Auto-Clans. Schon auf der Mondial de l’Automobile vom 1. bis 16. Oktober in Paris hatte der knackige Elektrolurch für Aufsehen gesorgt und sämtlichen PS-Boliden und Hubraumriesen die Schau gestohlen.
Von Friedhelm Kortmann
Es ist offenbar diese seltsame Mischung aus Bescheidenheit und Selbstbewusstsein, die den ersten Auftritt des elektrischen Konzern-Neulings in Deutschland so spektakulär erscheinen und die fossile Konkurrenz alt aussehen lässt. Grund genug für die Protagonisten aus dem Hause Opel, den jüngsten Spross aus dem GM-Konzern entspannt am Frankfurter Mainufer hochleben zu lassen. Mit Dr. Ralf Hannappel, Chef der GM-Elektrosparte in Europa, Rainer Bachen, Leitender Entwicklungsingenieur und Chefdesigner Carsten Aengenheyster hatten die Rüsselsheimer gleich drei Männer zur Kennenlern-Party entsandt, die sich die Vaterschaft für den selbstbewussten Ampera-e in aller Bescheidenheit brüderlich teilen.
Doch nicht nur die Rüsselsheimer hatten beim Werdegang des Fullsize-Elektrikers ihre Hände im Spiel, auch die Ingenieure, Konstrukteure und Designer in Detroit drehten kräftig an der Entwicklungsschraube. Grundlage des Ampera-e ist der Chevrolet Bolt EV, der Anfang des Jahres auf der Detroit Motor Show seine Premiere feierte. Um aus dem US-Cousin einen echten Opel zu machen, der fit für Europa ist, wurde eine Vielzahl von Genen ausgetauscht. Mit verblüffenden Ergebnis, dass er wie ein echter Opel mit einem unverwechselbaren Profil daherkommt. Trotz seiner äußerlichen Verwandtschaft zum Opel Corsa mit markanter Kühlerpartie und fliehender Dachlinie punktet der Ampera-e mit einem klaren, eigenständigen Design und bietet im Innenraum den Platz des größeren Opel Astra.
Elektro-Urahn EV1 ist 25 Jahre alt
Die enge Zusammenarbeit mit den Kollegen in Detroit hat zusätzlich zu vielen luftigen Bonusmeilen im Langstreckenflieger ein fundiertes 25-jähriges Know-how in Sachen Elektrofahrzeug-Entwicklung und -Produktion nach Rüsselsheim gespült. Schon 1990 zeigte General Motors die Designstudie „Impact“, die anschließend als Vorlage für das erste Serien-Elektroauto EV1 diente. Hintergrund dieser Entwicklung war das neu erlassene Gesetz zur Emissionssenkung im US-Staat Kalifornien im Jahr 1990, demzufolge bis zum Jahr 2003 mindestens zehn Prozent der neu zugelassenen Kraftfahrzeuge emissionsfrei sein sollten. Der elektrische Zweisitzer wurde von 1996 bis 1999 in Serie gebaut und ist der Vorgänger des Bolt von Chevrolet. „Damit konnten wir beim Ampera-e auf ein gutes Vierteljahrhundert Erfahrung mit dem Bau von Elektroautos zurückgreifen“, freut sich Chef-Entwickler Rainer Bachen aus Rüsselsheim.
Kein Wunder also, dass der Kleine ganz groß herauskommen soll. Über 500 Kilometer Reichweite stehen auf der Habenseite, ermittelt nach dem Neuen Europäischen Fahr-zyklus (NEFZ), der auch für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor gilt. Mangels Alltagstauglichkeit ist dieser allerdings nur sehr eingeschränkt aussagekräftig, kann aber auf der Vergleichsebene mit den Wettbewerbern von BMW, Kia, Mercedes, Nissan, Renault, Tesla oder Volkswagen gute Dienste leisten. Etwas näher an der fahrpraktischen Realität ist ein neuer Fahrzyklus, der ab Herbst nächsten Jahres in der Europäischen Union verbindlich wird und sich etwas sperrig Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure (WLTP) nennt. Nach diesem Testverfahren kommt der Ampera-e bis zu 320 Kilometer weit – ein nahezu konkurrenzloser Wert im Vergleich zu den Aktionsradien anderer Elektro-Klein- und Kompaktwagen.
30 Minuten laden, 150 Kilometer fahren
Da muss sich niemand Sorgen machen, dass er auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause ohne Saft und Kraft liegenbleibt, denn GM-Elektro-Chef Hannappel weiß: „Die durchschnittliche Kilometerleistung deutscher Autofahrerinnen und -fahrer beträgt rund 60 Kilometer täglich“ – inklusive Arbeit, Freizeit und Einkauf. Da reicht es, einmal pro Woche nachzuladen. Und wenn zwischendurch ein paar Extrarunden fällig werden, kann sich der kleine Elektro-Opel innerhalb einer halben Stunde an jedem öffentlichen 50-Kilowatt-Gleichstrom-Schnelllader eine elektrische Erfischung für die nächsten 150 Kilometer in die Akkus schlürfen. Dabei kommt dem Elektro-Piloten die politische Entwicklung zur mobilen elektrischen Infrastruktur gerade recht: Städte und Gemeinden richten Ladestationen ein, an denen Elektrofahrzeuge kostenlos parken und laden können. Die Raststätten der Bundesautobahnen sollen nach dem Willen von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt bis zum Jahr 2020 flächendeckend mit Ladestationen bestückt werden, außerdem Einkaufs- und Sportzentren, Bahnhöfe, Flughäfen und Carsharing-Stationen. Bis zu 15.000 Ladeoptionen könnte es dann in Deutschland geben (siehe Special-E 5/2016).
Auch zu Hause ist das Laden kein Problem, solange man eine Garage oder einen anderen Zugang zum Hausstrom hat. Per Wandladestation tankt man mit 4,6 Kilowattstunden auf, bei Bedarf sogar ganz konventionell mit 2,3 Kilowatt aus der haushaltsüblichen Schuko-Steckdose. Graue Haare dürften allerdings solchen Elektrofahrerinnen und -fahrern wachsen, deren Wohnung ohne Keller und ohne Garage ist – hier ist privates Nachladen bisher ein Problem. Abhilfe könnten Ladedosen an innerstädtischen Laternenmasten schaffen, die mittels Scheckkarte oder Smartphone aktiviert werden können. Das setzt allerdings voraus, dass die Laternen nicht, wie allgemein üblich, am Hausgrundstück platziert werden, sondern am Straßenrand.
Sport-Gene im Schukostecker
Dass der Ampera-e mit Fahrleistungen wie ein Sportwagen glänzt, müssen wir als Information zunächst einmal so stehen lassen: Die Präsentation war eine „statische“. Hören, sehen und staunen statt einsteigen, starten und Vollgas geben lautete die Devise in Frankfurt. Allerdings: Das goldgelbe Ausstellungsstück war auf eigener Achse von Rüsselsheim nach Frankfurt gereist, ordnungsgemäß amtlich zugelassen und mit „E“-Zusatz hinter der Zahlenkombination auf dem Nummernschild versehen.
Immerhin versprechen die Eckdaten eine äußerst dynamische Fortbewegung. 204 PS und ein Drehmoment von 360 Newtonmetern „aus dem Stand“ sprechen eine klare Sprache und beschleunigen den Ampera-e in 3,2 Sekunden von null auf 50 Sachen, der Zwischensprint von 80 auf 120 ist nach 4,5 Sekunden schon wieder Geschichte. Das spricht für spektakuläre innerstädtische Ampelstarts und atemberaubende Überholvorgänge überland – selbstverständlich alles im Rahmen von Vernunft und Straßenverkehrsordnung. 150 Stundenkilometer Topspeed markieren dann das einprogrammierte Ende der Fahnenstange zugunsten der Reichweite. Bis zu fünf Passagiere können im 4,17 Meter langen E-Opel das kraftvolle Gleiten genießen, denn die zehn 60-Kilowattstunden-Akku-Module sind platzsparend am Unterboden montiert. Der Kofferraum schluckt 381 Liter Reisegepäck.
Mit digitaler Vernetzung im siebten Online-Himmel
Das nahezu geräuschlose Dahingleiten macht die Sinne frei für ein umfangreiches „Onboard-Entertainment-System“. So ist der von Opel bereitgestellte Online- und Serviceassistent „OnStar“ mit an Bord. Dieser bietet unter anderem eine Soforthilfe im Crash-Fall, einen Diebstahl-Notservice, eine automatische Zieleingabe mit Navigation und eine umfassende Fahrzeugdiagnose – und Musik machen kann er auch. Darüber hinaus gehört die Fernbedienung per Smartphone zum Ausstattungspaket. Reifendruck, Akku-Ladezustand, Restreichweite, Türen ver- und entriegeln, Fahrzeug im Parkhaus suchen und finden, Reiseroute vom Smartphone aufs Navi schicken: Per myOpel-App kein Problem. Diesen kompletten Digitalrausch muss niemand extra zahlen, er ist im Fahrzeug-Gesamtpreis enthalten – und der ist offiziell noch kein Thema. Anfängliche Spekulationen mit 30.000 Euro (Bolt: 30.000 US-Dollar) erreichen mittlerweile fast die 40.000-Euro-Marke. Doch angesichts des erklärten Willens von Opel, dieses Fahrzeug zum Star der elektrischen Kompaktklasse aufsteigen zu lassen, könnte dieser Kurs wohl die Schmerzgrenze überschreiten.
Wie lange dauert das Frühjahr 2017?
Es juckt kräftig im rechten Fuß: Spannung hochfahren und durchstarten heißt die Devise. Aber bis der erste Ampera-e in Deutschland verkauft ist, fließt noch viel Strom durch die Dose. „Frühjahr 2017“ lautete bei der Präsentation im November die etwas weiche Sprachregelung, inzwischen ist es der „Sommer 2017“. Auch taucht die Frage auf, ob der frisch gewählte US-Präsident Donald Trump und der mögliche Opel-Verkauf an den französischen PSA-Konzern die Zukunft des Ampera-e beeinflussen.
In Rüsselsheim zeigt man sich währenddessen betont entspannt und geht nicht davon aus, dass irgendwer beim Ampera-e den Stecker zieht. Im Gegenteil: Mit Hochdruck arbeitet man an der Markteinführung des designierten elektrischen Volks-Opel weiter. Geeignete Vertriebspartner werden fit gemacht, die Entwicklung der Vertriebsstruktur schreitet voran, Händler und deren Personal drücken die Schulbank, um auch beim „Händler vor Ort und dessen Kunden den Fokus klar auf die neuen Dimensionen des Autofahrens“ zu richten, versichert Pressemann Michael Blumenstein. Es bleibt also im besten Sinne spannend – und zu bestellen ist der Ampera-e ab sofort.